"Oh, die gelbgestrichenen Stationsgebäude, die Oberleitungsmasten und die Streckenführung sehen aber aus, wie bei einer österreichischen Lokalbahn" dachte ich bei meiner ersten Fahrt auf Bahnstrecke von Tabor nach Bechyne. Ein wenig Recherche im Internet ergab, dass es sich bei der im Jahr 1903 eröffneten Strecke, die im Volksmund gerne "Bechynka" genannt wird, um die erste elektrische Vollbahn im damaligen Österreich-Ungarn handelt. Bis heute hat sich der vermeintlich österreichische Flair auf der 24km langen, eingleisigen Strecke gehalten. Auch das ursprüngliche Stromsystem von 1,5kV Gleichstrom ist bis heute erhalten geblieben; somit ist die "Bechynka" mittlerweile die einzige Eisenbahnstrecke in Tschechien, die mit diesem Stromsystembetrieben wird.
Die Bahnstrecke beginnt, bedingt durch das besondere Stromsystem, an einem gesonderten Bahnsteig auf dem Bahnhofsvorplatz in Tabor. Vorbei an Abstellgleisen und dem Verbindungsgleis zur "Hauptbahn" verläuft die Strecke abwärts durch Wohngebiete zum Fluß Luznice hinab, der am Stadtrand auf einer 174m langen Stahlbogenbrücke überquert wird. Danach schlängelt sich die Strecke durch Felder in teilweise engen Kurven wieder bergauf und erreicht bei Streckenkilometer 6 die Ortschaft Slapy und den ersten Bahnhof auf der Strecke in Richtung Bechyne. Weitestgehend eben geht es durch Felder und Waldgebiete zum Bahnhof Malsice bei Streckenkilometer 11. Dort finden bei im Stundentakt verkehrenden Zügen planmässig Zugkreuzungen statt. Weiter durch Felder und Waldgebiete wird bei Streckenkilometer 19 der Bahnhof Sudomerice u Bechyne erreicht. Kurz vor dem Endbahnhof in Bechyne erreicht die Bahnstrecke zum zweiten Mal den Fluß Luznice und überquert diesen seit 1929 zusammen mit dem Autoverkehr auf einer 203m langen Bogenbrücke aus Stahlbeton. Nach einer kurzen Steigung endet die Strecke im Endbahnof von Bechyne. An Werktagen wird der Personenverkehr im 2h-Takt durchgeführt und am Morgen sowie Nachmittag auf einen 1h-Takt ausgeweitet. In den Sommermonaten wird an Wochenenden aufgrund des regen Ausflugverkehrs sogar ganztängig ein 1h-Takt angeboten. Güterverkehr findet, wenn überhaupt, nur noch sporadisch, statt.
Im Jahr 2020 wurden auf der "Bechynka" planmäßig wieder alle Züge mit den 1973 beschafften Lokomotiven der Baureihe 113 bespannt. Als Anhänger dienen zwei Triebwagenbeiwagen der Bauart Blm. Bei Ausfällen dient als Ersatz ein Dieseltriebwagen der Baureihe 814 "Regionova". Auch wenn es bereits Überlegungen gibt die Strecke auf 25kV Wechselstrom umzustellen, erhalten die Lokomotiven der Baureihe 113 im Rahmen von Untersuchungen sogar neue Lackierungen. Als erste erhielt 113 001 einen orangen Retrolook und ihre ursprüngliche Nummer E426 0001. An Sommerwochenenden kommt in den Planzügen auch die Museumlok E422 0003 mit einer ursprünglichen Wagengarnitur zum Einsatz.
Das eingesetzte Fahrzeugmaterial ist für Eisenbahnfreunde sicherlich schön anzusehen; für einen attraktiven ÖPNV sind 45 Minuten Fahrzeit für 24lm Streckenlänge alles andere als zeitgemäss.